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Achtsamkeit als Sensibilität für Atmosphären

Achtsamkeit ist gesund. Diese Erkenntnis setzt sich zunehmend in Unternehmen durch. Einer erhöhten Achtsamkeit werden aber nicht nur gesundheitsfördernde Effekte zugeschrieben, sie soll auch die Kompetenz von Führungskräften erhöhen. Der Beitrag zeigt, weshalb Achtsamkeit Voraussetzung für jede gelungene Führung ist, worauf überhaupt „geachtet“ werden sollte und warum Achtsamkeit alleine noch keine gute Führungskraft ausmacht.

Was bedeutet Achtsamkeit?

Achtsamkeit bezieht sich auf eine Haltung neutraler Aufmerksamkeit, bei der man „ganz da ist“ und die Situation möglichst offen wahrnimmt, ohne sie vorschnell und unreflektiert zu bewerten. Menschen, die eine achtsame Haltung einnehmen, zeichnen sich durch eine hohe Präsenz aus; sie nehmen präzise und unvoreingenommen wahr, „was da ist“, und nehmen dies an. Damit einher geht eine Kontrolle der eigenen Vorurteile, die eine objektivere Wahrnehmung ermöglichen und ein Denken in Schubladen verhindern soll (vgl. Sauer u. a. 2011, S. 340).

Grob gesagt bedeutet Achtsamkeit also: „auf etwas achten“. Doch worauf soll eigentlich geachtet werden? Sehen wir uns hierzu eine beliebte Achtsamkeitsübung an: Die Rosinen-Übung. Hierbei werden die Seminarteilnehmenden angeleitet, eine Rosine genau anzusehen und dabei die Impulse, etwas mit ihr machen zu wollen, auszuschalten. Anschließend sollen sie die Rosine mit allen Sinnen so präzise wie möglich wahrnehmen: Tasten, Riechen, Schmecken. Dies führt in der Regel zu überraschenden Selbsterfahrungen und neuen Einsichten. Sensibilität und Konzentration können spürbar gesteigert werden (vgl. Lehrhaupt/Meibert 2010, S. 19-23).

Worauf sollen Führungskräfte achten?

So sinnvoll die Rosinen-Übung in der Einübung einer achtsamen Haltung sein kann, sie beantwortet nicht die Frage, worauf achtsame Führungskräfte konkret achten soll. Auf Rosinen jedenfalls nicht – und die Antwort „Auf alles, was einem in die Sinne komme“ ist angesichts der angestrebten Offenheit zwar naheliegend, aber auch reichlich unpräzise.

Während die gängigen Ansätze zur Achtsamkeit in der Regel hier enden, ist die Antwort auf die Frage des „Worauf“ für die Kunst der atmosphärischen Führung gleichermaßen zentral wie trivial – denn selbstverständlich geht es bei einer achtsamen Führung immer darum, die Atmosphäre wahrzunehmen und ein Gespür für die dahinterliegende Situation zu entwickeln. Achtsamkeit geht in diesem Sinne über eine neutrale Haltung hinaus und in eine ethische Haltung über. Es reicht nicht, auf „etwas“ zu achten, es geht auch und vor allem darum, unsere Mitmenschen „zu achten“ und sie nicht „zu ver-achten“. Achtsamkeit ist eine Haltung der Achtung gegenüber anderen und Grundlage eines respektvollen Umgangs miteinander (vgl. Rappe 2006, S. 226).

Atmosphärische Sensibilität für schwache Signale

Als Haltung der Achtung ist die Achtsamkeit für Führungskräfte entscheidend. Es ist die konkrete Aufgabe der Führungskraft, eine wertschätzende und produktive Atmosphäre zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Dies kann sie aber nur, wenn sie „einen Sinn“ für die Atmosphäre im Team oder im Unternehmen hat und auf die Atmosphäre „achtet“. Die Atmosphäre ist nicht nur Erfolgsfaktor Nummer 1, sondern sie offenbart uns auch, wie und wo die Befindlichkeiten im Team liegen.

Als sogenannte schwache Signale offenbaren sich Veränderungen zunächst atmosphärisch. Bereits ein Wechsel in der Stimmlage oder ein leichtes Zusammenziehen der Augenbrauen können eine Menge über die wahren und nicht direkt geäußerten Befindlichkeiten aussagen. Diese schwachen Signale kann nur wahrnehmen, wer achtsam ist, denn Achtsamkeit ist unser atmosphärisches Bewusstsein für die besonderen Nuancen und die feinen Unterschiede, die jedem durch die Lappen gehen, der nicht auf sie achtet. Wenn das Fass überläuft und die Stimmung kippt, ist es zu spät. Für Führungskräfte ist es unabdingbar, eine atmosphärische Sensibilität zu entwickeln, die auf der Achtsamkeit für die Situation und der Empathie gegenüber den Geführten beruht (vgl. Kühmayer 2016, S. 43).

Achtsamkeit ist der Schlüssel atmosphärischer Führung

Die Zusammenarbeit zwischen Menschen wird immer von der gemeinsamen Atmosphäre getragen. Aber nur durch Achtsamkeit ist die Führungskraft in der Lage, die Atmosphäre überhaupt wahrzunehmen und in ihren Nuancen einzuordnen – und nur, wer Atmosphären wahrnehmen kann, kann sie auch zielgerichtet gestalten. Achtsamkeit ist also der Schlüssel für jede gelungene atmosphärische Führung.

Der buddhistische Mönch und Schriftsteller Thích-Nhất-Hạnh nennt die Sinne „Tore“ oder „Türen“, da alles Wahrgenommene durch die Sinne ins Bewusstsein tritt (vgl. Thích-Nhất-Hạnh 2013, S. 15-16). Die Achtsamkeit lehrt uns, diese Türen aufzustoßen und auf die andere Seite zu blicken. Diese andere Seite ist die Seite der Atmosphären. Ist die Türe geschlossen, können wir diese nicht sehen. Die Achtsamkeit lehrt uns nicht, worauf Führungskräfte „achten“ sollen, wenn sie durch die Türe hindurchgehen. Hier kommt die Atmospheric Art ins Spiel, denn unser Ziel ist es, Führungskräfte für diesen Weg mit konkreten Methoden zu rüsten und sie auf ihrem Weg zu begleiten. Unser wissenschaftlich fundiertes System der atmosphärischen Führung hilft Führungskräften nicht nur, ihre eigene atmosphärische Wirkung über eine authentische Haltung einzuordnen und zu verändern, sondern auch, ihr Führungsverhalten an den individuellen Bedürfnissen ihres Gegenübers anzupassen.

Wie sagt der Philosoph Martin Buber so schön: „In jedermann ist etwas Kostbares, das in keinem anderen ist.“ Die atmosphärische Führung verrät uns nicht, worin dieses Kostbare besteht, aber sie zeigt uns den Weg, es (heraus) zu finden.

Literatur

Kühmayer, Franz: Führung zwischen Datenflut und Bauchgefühl. Ergebnisoffene Prozesse gestalten statt Macherqualitäten zeigen, in: Personalführung 49 (6/2016), S. 38-43

Lehrhaupt, Linda M./Meibert, Petra: Stress bewältigen mit Achtsamkeit. Zu innerer Ruhe kommen durch MBSR* – *Mindfulness-Based Stress Reduction, München 2010

Rappe, Guido: Interkulturelle Ethik, Bd. II: Ethische Anthropologie, 2. Teil: Personale Ethik, Berlin: Bochum, London, Paris 2006

Sauer, Sebastian/Andert, Karin/Kohls, Niko/Müller, Günter F.: Mindful Leadership. Sind achtsame Führungskräfte leistungsfähigere Führungskräfte? In: Gruppendynamik und Organisationsberatung 42 (4/2011), S. 339-349

Thích-Nhất-Hạnh: Die Heilkraft buddhistischer Psychologie, München 2013