Atmosphärische Führung beruht wesentlich auf der Selbstkultivierung einer Führungskraft, also der beständigen Arbeit an sich selbst und der Reflexion der eigenen atmosphärischen Wirkung. Voraussetzung dafür ist die Authentizität der Führungskraft. Weshalb atmosphärische Führung notwendig auf authentischer Führung aufbaut und was authentische Führung im Kern ausmacht, ist Thema dieses Blogs.
Was authentische Führung nicht ist
Authentische Führung bedeutet grundsätzlich nicht, alles was man denkt, auch zu sagen. Gerade Führungskräfte, denen es an Offenheit für alternative Perspektiven mangelt, laufen sonst Gefahr, ihre vermeintlichen Binsenweisheiten anderen auf die Nase zu drücken, obwohl sie für diese nicht passen. Wer immer nur aus der eigenen Perspektive das sagt, was er denkt, der sagt mit Sicherheit viel Falsches, zumindest aus Sicht der anderen, denn auch Wahrheit ist eine Frage der Perspektive.
Hinzu kommt, dass man oft nicht meint, was man denkt. Der erste Impuls stellt sich nicht immer als der richtige heraus – ist aber schwer zurückzunehmen, wenn er einmal im Raum steht. Auf diese Weise entstehen schnell Negativspiralen, die, obwohl sie nur aus heißer Luft bestehen, erschreckend festgefahren sein können.
Authentizität als Haltung
Bei einer authentischen Führung geht es vielmehr darum, durch Selbstkultivierung eine positive Haltung gegenüber anderen zu erwerben, durch die man jederzeit und ohne Anstrengung eine positive atmosphärische Ausstrahlung erlangt. Der Schlüssel hierfür liegt darin, sich selbst als Mensch zu zeigen, denn wer Fassaden aufbaut und aufrechterhalten muss, braucht dafür nicht nur unglaublich viel Energie, sondern kann sich auch nicht unverfangen in die Begegnung mit anderen geben. Es besteht schließlich immer die Gefahr, der andere könnte etwas von einem sehen, das man verbergen möchte. Fassaden sind ganz konkrete Mauern. Sie verhindern das freie Fließen atmosphärischer Kräfte.
Gerade auf der atmosphärischen Ebene läuft viel unbewusst ab. Wem es an Authentizität fehlt, hat zu dieser Ebene nur schwer Zugang. Wer andere – und letztlich auch sich selbst – belügt, um das eigene Selbstbild aufrechtzuerhalten, der muss immer auch die Kontrolle über dieses behalten. Situationen werden verzerrt wahrgenommen, weil sie immer auf die Aufrechterhaltung des Selbstbildes gemünzt werden. Dadurch findet die Führungskraft keinen Zugang zu ihrer eigenen atmosphärischen Wirkung. Sie ist nicht authentisch, weil sie unter ihrer eigenen Dunstglocke lebt und nur nach Selbstbestätigung sucht. Die Macht im Umgang mit Atmosphären geht dadurch verloren, weil die Dunstglocke von außen, also mit den Augen der anderen, oft anders aussieht, als sich die Person das selbst vormacht.
Gut und schlecht sind nicht zwei Seiten einer Medaille
Wer andere auf einer atmosphärischen Ebene führen will, braucht eine authentische Art der Führung und die setzt eine authentische und letztlich im Kern gute Persönlichkeit voraus. Das Gute und das Schlechte oder Böse sind nicht einfach weiß und schwarz, plus und minus. Sie unterscheiden sich in einer wesentlichen Qualität.
Wer eine toxische Persönlichkeit hat, braucht eine Fassade, die es aufrecht zu erhalten gilt. Wer im Kern ein guter Mensch ist, hat direkten Zugang zum Atmosphärischen, weil er ganzheitlich und ohne Fassade wirken kann. Naivität ist nur im guten Glauben möglich, und auch wenn wir andere herabsetzen wollen, wenn wir sie als naiv bezeichnen, sollten wir uns selbst in der einen oder anderen Situation ein bisschen mehr Naivität zumuten, um ein Gespür für die Befindlichkeiten der anderen zu erlangen.
Der Weg der Atmospheric Art
Natürlich kann man auch mit Fassaden Tricks lernen, Menschen atmosphärisch zu beeinflussen, und wer ein gewisses Talent hat, kann es mit der dunklen Seite der atmosphärischen Führung auch weit bringen. Zu einer besseren Atmosphäre oder Gemeinschaft trägt man auf diese Weise aber nichts Gutes bei. Deshalb lehrt die Atmospheric Art keine Tricks. Sie legt Wert darauf, dass die Führungskraft von dem, was sie macht, überzeugt ist.
Nur wer sich aus einer inneren Überzeugung heraus sensibilisiert, kann die eigene Kompetenz als atmosphärische Führungskraft dauerhaft im Alltag entfalten. Und je mehr die Führungskraft auf die Atmosphären in ihrem Alltag achtet, desto besser wird ihr Verständnis für sie. Die Atmospheric Art ist daher vor allem Hilfe zur Selbsthilfe und versteht sich als Bewegung, in unserer Gesellschaft eine bessere und an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Führungskultur zu etablieren.
Literatur
Julmi, Christian/Rappe, Guido: Atmosphärische Führung. Stimmungen wahrnehmen und gezielt beeinflussen, München 2018
Rappe, Guido: Die Natur des Menschen als moralisches Potenzial: Konzepte des menschlichen Selbstverständnisses im alten China und in Griechenland, Bochum 2010