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„Eine der größten Forderungen an die Führungskraft“ – Hermann Schmitz im Gespräch über Atmosphären in Unternehmen

Der Kieler Philosoph Hermann Schmitz hat mit seiner Neuen Phänomenologie eine neue Denkrichtung in die Philosophie eingeführt und gilt als Begründer der modernen Atmosphärenforschung. Die Erkenntnisse der Neuen Phänomenologie wurden bereits in der Architektur, der Psychologie, der Medizin oder der Pädagogik berücksichtigt und sind Ausgangspunkt unseres eigenen Ansatzes der atmosphärischen Führung. Was Hermann Schmitz über die Relevanz atmosphärischer Wirkkräfte in Unternehmen denkt, verrät er im Gespräch mit unserem geschäftsführenden Partner Christian Julmi.

Christian Julmi: Herr Professor Schmitz, welche Rolle spielt die Atmosphäre Ihrer Meinung nach für die Mitarbeiter eines Unternehmens?

Hermann Schmitz: Atmosphären, die über das affektive Betroffensein auf die Person wirken, entspringen teils aus der leiblichen Dynamik und Kommunikation, teils aus Atmosphären des Gefühls wie Freude und Trauer, Zorn und Scham, Furcht und Mut, Begeisterung und Missmut, usw. Sie kommen isoliert vor, verbinden sich aber oft mit der Situation, in die sie eingebettet sind. Die Atmosphären wirken auf die Person, indem sie diese leiblich spürbar ergreifen. Die Ansatzstelle dafür ist vornehmlich der vitale Antrieb als ein Dialog von Engung und Weitung (als Spannung und Schwellung), wobei sich beide Seiten gegenseitig beschränken und eben dadurch hochtreiben. Die Beweglichkeit dieses Dialogs bietet der Aufnahme und Entfaltung von Atmosphären optimale Chancen. Der leibliche Dialog von Engung und Weitung findet aber nicht nur im einzelnen Leib statt, sondern als Einleibung in einen gemeinsamen Antrieb auch zwischen Partnern, die nicht notwendig Lebewesen sind, aber Ausdruck haben. Die Einleibung ist wie ein Seil, das sich über die Partner spannt. Bei solidarischer Einleibung ist sie wie ein straff gespanntes Seil, wie in allen Massenbewegungen (z. B. Panik, Volksfeste, Begeisterung oder Wut, usw.), bei antagonistischer Einleibung dagegen wie ein lockeres Seil, an dem in Angriff oder Abwehr von beiden Seiten gezogen wird.

Hieraus ergibt sich die Antwort auf die gestellte Frage: Welche Rolle spielt die Atmosphäre Ihrer Meinung nach für die Mitarbeiter eines Unternehmens? Die effektiv ergreifenden Atmosphären besetzen den vitalen Antrieb, indem sie ihn anregend oder hemmend ausformen. Daraus ergibt sich eine Aktivierung oder Lähmung des individuellen oder kollektiven Antriebs. Die Mitarbeiter sind demgemäß für die Lösung der Probleme des Betriebes mit mehr oder weniger Einsatz zu gebrauchen. Für die Betriebsleiter wird es also darauf ankommen, die Atmosphären so zu gestalten, dass der private und gemeinsame Antrieb mobilisiert wird und der Problemsituation in geeigneter Weise zugewendet werden kann.

Christian Julmi: Schätzen sie Atmosphären in einem Unternehmen auch als relevant für den Unternehmenserfolg ein?

Hermann Schmitz: Ja.

Christian Julmi: Führungskräften wird meist die größte Bedeutung in der Gestaltung von Atmosphären zugemessen. Was kann eine Führungskraft tun, um die Atmosphäre in einem Team positiv zu beeinflussen?

Hermann Schmitz: Die Führungskraft muss die Atmosphären so zu lenken versuchen, dass eine optimale Aktivierung des vitalen Antriebs, etwa in Form des Eifers, individuell und kollektiv erreicht wird. Dafür kommt es auf die Beeinflussung des vitalen Antriebs an. Dieser hat die beiden Seiten der engenden Spannung und der weitenden Schwellung. Je deutlicher diese hervortreten, desto stärker steigt der Antrieb. Die Führungskraft muss sich also anstrengen, diese Seiten zu führen und zusammenzubringen. Das geschieht nach der Seite der Spannung durch straffe und energische Führung, nach der Seite der Weitung durch ein genügendes Maß des Spielraums, die den Mitarbeitern gelassen wird. Die geschickte Auswägung beider Seiten, der engenden und der weitenden, ist eine der größten Forderungen an die Führungskraft. Außerdem hat diese dafür zu sorgen, dass der Übergang von der solidarischen Einleibung in die antagonistische bei der Auseinandersetzung zwischen Vorgesetzten, Untergebenen und Kollegen reibungslos funktioniert. Dabei gilt es darauf zu achten, dass der Auseinandersetzung bei Kontakten keine solchen Hemmungen entgegengesetzt werden, die den Durchfluss der solidarischen Einleibung in die antagonistische behindern könnten. Unnötige Befangenheit, Anmaßung und Unerreichbarkeit für ihre Ansprache sind also zu vermeiden.

Christian Julmi: Was kann man als Mitarbeiter selbst tun, um die Atmosphäre zu verbessern?

Hermann Schmitz: Der Mitarbeiter ist den geschickt gelenkten Atmosphären gegenüber etwa in der Position eines Schülers in einer Schulklasse, die durch die geschickte und interessante Interaktion eines neuen Lehrers aus der Langweile gerissen und zur eifrigen Mitarbeit an einem neu gestellten Problem begeistert wird. Der Mitarbeiter des Betriebes braucht sich der geschickten Anregung ebenso wie der Schüler nur hinzugeben; sie nimmt ihn einfach mit. Dagegen könnte er nur persönliche Konflikte als Hemmungen aufbieten, z. B. Unzufriedenheit mit den Kollegen oder dem Lohn. Wenn er solche Hemmungen zurückstellt und Kräfte eifrig einsetzt, ist von ihm alles erreicht, was ihm zugemutet werden kann.

Christian Julmi: Kann man den kompetenten Umgang mit Atmosphären lernen bzw. lehren? Wenn ja, wie wäre das aus Ihrer Sicht zu gestalten?

Hermann Schmitz: Das Beste wäre es, den Rat des Aristoteles für das Einwachsen in das tugendhafte Leben zu folgen: an der Seite eines erfahrenen Älteren in den Prozess der Entscheidungsfindung einzuwachsen. Wenn man sich in die theoretischen Grundlagen dieses Prozesses hineindenkt, wäre es gut, sich an die Neue Phänomenologie zu halten, da es anderswo keine den Phänomen entsprechende Klarheit über die relevanten Verhältnisse gibt, besonders über das Verhältnis zwischen Atmosphären und dem Leib in seiner Dynamik und Kommunikation.

Weblinks

Wikipedia-Eintrag von Hermann Schmitz

Homepage der Gesellschaft für Neue Phänomenologie e. V.

Homepage des internationalen Forschernetzwerks Atmospheric Spaces

Foto: Dr. Alexander Risse, Dortmund