Florian Schild, Gründer und Geschäftsführer von boot.AI, und Ralf Wiemann, Gründer und Partner der Atmospheric Art, waren am 22. März 2019 Gastgeber und Veranstalter der Meetup-Veranstaltung zur Künstlichen Intelligenz in der Plato Academy Bonn. Florian Schild zeigte als Anbieter von KI auf, wie eine disruptive Technologie die Arbeitswelt von heute radikal und innovativ auf den Kopf stellt, und Ralf Wiemann erläuterte, wie Führungskräfte dabei klaren Kopf behalten und Organisationen den Wandel als Chance nutzen können.
Hype und Realität
Wer nimmt die Konsequenzen von künstlicher Intelligenz eigentlich ernst? In den Medien hören und lesen wir viel, was die sogenannte Künstliche Intelligenz ist und was sie alles zerstört. Bis 2030 sollen durch sie über 40% der Arbeitsplätze wegfallen.
Anhand einer kurzen und verständlichen Einführung erfuhren die Teilnehmenden, wie der Computer das Sehen lernt und was dies für den sehenden Arbeitnehmer bedeutet. Kein anderer Sinn des Menschen kann durch KI-Technologie so verstärkt werden wie der Sehsinn. Welche Möglichkeiten leiten sich für Unternehmer daraus ab? Wie kann der Mensch die Technologie für sich einsetzen? Und noch wichtiger: Wie gehe ich als Führungskraft mit dem Gewinn durch die KI-Technologie und der potenziellen Substitution menschlicher Arbeitskraft um? In bekannten Kontexten wie Qualitätssicherung oder Gesichtserkennung erkennt KI-Software bereits heute schneller und genauer Muster als der Mensch. In unbekannten Kontexten ist die Fehlerrate noch recht hoch, aber dennoch sind Steigerungen der Effizienz menschlicher Arbeitskraft möglich. Trotz mancher Übertreibungen in den Medien sind sich die KI-Experten einig: Wir befinden uns bereits im Übergang des technologischen Wandels und ein Blick auf die Fortschritte von Maschinen im Bereich der Image Recognition sagt mehr als tausend Worte. Maschinen sind bereits ernstzunehmende Wettbewerber menschlicher Arbeitskraft.
Gefahr und Chance
Victor Hugos berühmter Spruch, dass nichts mächtiger ist als eine Idee, deren Zeit gekommen ist, beschreibt die Wucht disruptiver Erfindungen, die wir heute am Beispiel der Künstlichen Intelligenz erleben, ganz vorzüglich.
Verstärkt durch mediale Übertreibungen ist die aktuelle Intransparenz kaum zu überbieten. Weder Unternehmer noch betroffene Mitarbeiter haben eine annähernde Vorstellung davon, was die neue Technologie für das eigene Unternehmen oder ihren Arbeitsplatz bedeuten. Der menschliche Reflex, alles Unbekannte und Bedrohliche zunächst als Gefahr wahrzunehmen, ist da nur allzu verständlich. Sollten die Erfinder der Künstlichen Intelligenz jedoch mit ihrer Einschätzung Recht behalten, dass mit Hilfe der neuen Technologien neue und ‚sinnvollere‘ Arbeitsplätze geschaffen werden können, wäre eine umfassende und ungeschminkte Aufklärung durch Politik und Wirtschaft ein mehr als überfälliger erster Schritt. Nur so kann der Wandel als Chance wahrgenommen werden und im Idealfall eine neue gesellschaftliche Kreativität entstehen. Immerhin gibt es einige – bislang als unlösbar eingeschätzte – globale Probleme, die dringend innovative und schnelle Lösungsansätze gebrauchen können.
Organisations- und Führungsmodelle
Seit jeher ist die Frage nach der ‚passenden‘ Organisationsform und einem adäquaten Führungsmodell Bestandteil strategischer Arbeit in Unternehmen und Organisationen. Heute beherrschen neben fundierten wissenschaftlichen und praxisorientierten Lösungsangeboten sogenannte ‚Buzzwords‘ wie Agilität und Kulturwandel die Diskussion um die richtige Organisationsform und modernes Führungsverhalten. Der als Megatrend bezeichnete Digitale Wandel und die Substitution humaner Arbeitskraft durch ‚künstliche Intelligenzen‘ schaffen darüber hinaus ein Umfeld, in dem rasches Handeln – in für viele Unternehmer noch intransparenten Situationen – angemessen erscheint und übereilte Struktur- und Kulturentscheidungen getroffen werden.
Der Wirtschaftswissenschaftler Peter Drucker war davon überzeugt, dass die größte Gefahr in Zeiten des Umbruchs nicht der Umbruch selbst ist, sondern das Handeln mit der Logik von gestern. Als einer der großen Management-Vordenker für das Modell leistungsorientierter Organisationen erlebte er den bis dahin niemals vorstellbaren Aufschwung von Unternehmen, die nach dem Shareholder Value Prinzip entstanden. Die Mehrheit der heute lebenden Menschen wurde von den Rahmenbedingungen dieses Wirtschaftsmodells geprägt und sozialisiert. Neben den unbestreitbaren Vorteilen dieser Wirtschaftsphilosophie des Wachstums werden den Menschen die damit verbundenen Nachteile wie Umweltverschmutzung und Klimawandel immer deutlicher.
Der ehemalige Associate Partner von McKinsey und Autor Frederic Laloux beschreibt in seinem Buch Reinventing Organisations aus dem Jahr 2015 den Einfluss pluralistischer Organisationen auf das rational geprägte Leistungsmodell, und einige Ideen des auf Stakeholder Value angelegten pluralistischen Modells wurden mit großer Begeisterung übernommen. Die meisten traditionellen Unternehmen, die sich heute mit dem Digitalen Wandel und der Einführung Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen, verdanken ihren Erfolg dem leistungsorientierten Wirtschaftsmodell, das laut Laloux für die rationalen Durchbrüche Innovation, Verlässlichkeit und Leistungsprinzip steht. Wesentliche Errungenschaften pluralistischer Organisationen – wie Empowerment von Mitarbeitern, werteorientierte Kulturansätze und Stakeholder-Value-Denken – wurden übernommen, solange sie mithalfen, die kommerziellen Organisationsziele zu erreichen.
Wie verändere ich mich in angemessener Geschwindigkeit?
Die zentrale Frage für Organisationen ist aber nicht nur durch die von Peter Drucker beschriebene Logik aus der Vergangenheit oder die bislang erreichten Durchbrüche bei den emotionalen Fähigkeiten von Führungskräften zu lösen.
Wenn die prognostizierten Veränderungen durch die Einführung von Künstlicher Intelligenz auch nur annähernd realistisch sind, müssen Organisationen eine für ihr Geschäftsmodell adäquate Antwort auf diese existentielle Frage geben können. Auch wenn es für die Mehrheit dieser Organisationen heute noch kaum vorstellbar ist, haben innovative Gründer sowie Pioniere aus unterschiedlichen Bereichen der traditionellen Wirtschaft angefangen, die bewährten rationalen Modelle und emotionalen Aspekte von Arbeit disruptiv zu verändern.
Die Auflösung von Hierarchien durch Selbstführung, die Aufgabe von destruktiven und nicht wertschöpfenden Ritualen wie komplexen Matrixstrukturen zur Steuerung und Entscheidungsfindung oder die Substitution kostenintensiver Strategiestrukturen durch flexible evolutionäre Strategien sind nur einige Ideen aus dem neuen Denken, die beeindruckend die Veränderungsfähigkeit von Organisationen beschleunigen können.
Die Kunst der atmosphärischen Führung
In dem beschriebenen Umfeld steht der Mensch – insbesondere als Führungskraft – und seine individuelle Veränderungsfähigkeit im Mittelpunkt des Geschehens. Atmospheric Art hat sich zum Ziel gesetzt, die innovativen und emotionalen Kompetenzen von Führungskräften zu kultivieren, um radikale Veränderungen in Organisationen zu ermöglichen. Dabei werden drei – für Flexibilität und Change – erforderlichen Fundamente gelegt: Soziale Kompetenzen, Selbstkultivierung sowie Menschen verbinden und bewegen.
Soziale Kompetenzen: Unsere Arbeitswelt wird wesentlich von Atmosphären bestimmt. Sie entscheiden mit darüber, ob ein Unternehmen erfolgreich ist oder nicht. Entsprechend gilt für Führungskräfte, Atmosphären gezielt wahrzunehmen und durch Vorbildfunktion zu einer konstruktiven Quelle attraktiver Unternehmenskultur zu werden.
Selbstkultivierung: In modernen Arbeitswelten kommt es entscheidend darauf an, Führung als gleichermaßen rationalen wie atmosphärischen Prozess zu verstehen und aus dieser Erkenntnis heraus die richtigen Weichen für die Weiterentwicklung des eigenen Führungsstils zu stellen.
Menschen verbinden und bewegen: Atmospheric Leadership vermittelt eine Führungskultur, in der es gelingt, Mitarbeiter so zu koordinieren und zu motivieren, dass sie ihr Handeln auf die Ziele des Unternehmens ausrichten, während sie gleichzeitig ihr individuelles Potenzial ausschöpfen.
Literatur
Condon, Stephanie: Google’s strides in computer vision leads to Google Lens feature, ZDNet, 17.05.2017
Laloux, Frédéric: Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, München 2015
Tsvasman, Leon/Schild, Florian: AI-Thinking. Dialog eines Vordenkers und eines Praktikers über die Bedeutung künstlicher Intelligenz, Baden-Baden 2019