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Transformationale Führung – ja, aber wie?

Die transformationale Führung gilt vielen als „Gold Standard“ effektiver Führung. Dabei wird schnell unterschlagen, dass das Konzept allzu undifferenziert ist und es sehr verschiedene Wege gibt, transformational zu führen. Der Beitrag zeigt diese verschiedenen Wege transformationaler Führung anhand der atmosphärischen Führung auf und liefert so Anhaltspunkte, wie die transformationale Führung mit der Führungspersönlichkeit und den Bedürfnissen der Geführten in Einklang gebracht werden kann.

Grundlagen transformationaler Führung

Ein in der Führungspraxis breit akzeptierter und inzwischen umfassend empirisch validierter Führungsstil ist die transformationale Führung (vgl. Jackenkroll 2016). Grundlegendes Ziel der transformationalen Führung ist die “Sinnerzeugung”. Die Führung soll so ausgestaltet sein, dass die Mitarbeiter ihre Arbeit nicht als bloßen Broterwerb, sondern als sinnstiftend erleben. Die transformationale Führung stellt eine Weiterentwicklung der transaktionalen Führung dar, die auf die Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter fokussiert („Lohn gegen Brot“) und deren extrinsische Motivation in den Mittelpunkt stellt (vgl. Scherm/Süß 2016, S. 205). Demgegenüber zielt die transformationale Führung auf die intrinsische Motivation der Mitarbeiter, indem die Führungskraft auf die Werte, Bedürfnisse und Ziele der Mitarbeiter so „transformiert“ (daher der Name), dass diese zu Leistungen motiviert werden, die über die normalen Erwartungen hinausgehen. Der eintretende Erfolg wirkt auf die Führungskraft zurück, so dass durch die transformationale Führung ein für beide Seiten positiver Entwicklungsprozess in Gang gesetzt wird. Auch wenn sich transformationale und transaktionale Führung nicht gegenseitig ausschließen (eine Führungskraft kann gleichzeitig transformational und transaktional führen), wird der transformationalen Führung eine weitaus höhere Effektivität zugeschrieben (vgl. Weibler 2016, S. 339-340). Dies konnte inzwischen durch unzählige Studien nachgewiesen werden und gilt in der Führungsforschung als gut belegt. Darüber hinaus kann von einem positiven Einfluss auf das Betriebsklima bzw. die Arbeitsatmosphäre ausgegangen werden.

Die vier Komponenten effektiver Führung

Bass (1985) hat vier Komponenten transformationaler Führung identifiziert, die für die erfolgreiche Transformation der Werte, Bedürfnisse und Ziele der Mitarbeiter auf ein höheres Niveau notwendig sind. Bei diesen – im Englischen auch als „4 i‘s“ bezeichneten – Komponenten handelt es sich um:

  1. Einfluss durch Vorbildlichkeit („idealized influence“)
  2. Inspirierende Motivation („inspirational motivation“)
  3. Intellektuelle Anregung („intellectual stimulation“)
  4. Individualisierte Unterstützung („individualized consideration“)

Der Einfluss durch Vorbildlichkeit bezieht sich die Vorbildfunktion der Führungskraft, die als gutes Beispiel vorangeht und durch ihr Vorleben die gewünschten Werte vermittelt. Durch ihr Verhalten gewinnt sie Glaubwürdigkeit, Respekt und Vertrauen. Sie erzeugt eine Begeisterung für die Sache und entfaltet bei ihren Mitarbeitern eine spürbare Sogwirkung. Die inspirierende Motivation besteht darin, dass die Führungskraft in der Lage ist, eine attraktive und motivierende Vision für die Zukunft aufzuzeigen und diese überzeugend zu vermitteln. Auf der einen Seite werden hoch gesteckte Ziele formuliert und Herausforderungen benannt, auf der anderen Seite zeigt die Führungskraft aber gleichzeitig ein hohes Zutrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter, diese zu erreichen bzw. zu meistern. Die ersten beiden Komponenten werden teilweise als Kern der transformationalen Führung zusammengefasst und sind eng mit der charismatischen Wirkung einer Führungskraft verknüpft.

Durch die intellektuelle Anregung fördert die Führungskraft bei ihren Mitarbeitern kreatives und innovatives Denken. Die Führungskraft ermutigt diese, eigene Wege zu gehen und ausgetretene Pfade zu verlassen, um ihren individuellen Entwicklungspfad in die eigene Hand zu nehmen. Bei der individualisierten Unterstützung geht es schließlich darum, die Mitarbeiter als Individuen mit eigener Persönlichkeit, spezifischen Bedürfnissen und individuelle Fähigkeiten zu behandeln und sie nicht auf einen Bestandteil des Headcounts zu reduzieren. In dieser Eigenschaft ist die Führungskraft als Mentor oder Coach gefragt, der die Mitarbeiter bei ihrer individuellen Entwicklung unterstützt. Die Führungskraft geht auf die jeweils verschiedenen emotionalen Bedürfnisse der Mitarbeiter ein und versucht diese zu befriedigen (vgl. Scherm/Süß 2016, S. 205; Weibler 2016, S. 341-342).

Es gibt kein „one-best-way“ der Führung

Eine grundsätzliche Kritik am Konzept der transformationalen Führung besteht in der Suggestion eines „one-best-way“, der darüber hinaus ausschließlich auf die Führungskraft fokussiert und die Merkmale der Geführten ebenso außer Acht lässt wie Inhalt, Struktur oder Kontext einer Aufgabe (vgl. Weibler 2016, S. 346). Bezüglich der vier Komponenten wird angeführt, diese seien recht beliebig zusammengestellt, da es für diese weder theoretische noch empirische Belege gebe (vgl. van Knippenberg/Sitkin 2013, S. 9-12). Auch wenn die Relevanz und Effektivität transformationaler Führung hier nicht bestritten werden soll, ist das Konzept aus unserer Sicht daher zu undifferenziert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, transformational zu führen, und nicht jede Möglichkeit ist für jede Führungskraft, für jeden Mitarbeiter, für jede Aufgabe oder für jede Situation die richtige.

Aus Sicht der atmosphärischen Führung sind in Bezug auf die vier Komponenten insbesondere die ersten beiden von den letzten beiden Komponenten zu trennen, da sie auf sehr verschiedenen Wirkmechanismen beruhen und letztlich auf verschiedene Arten der Führung verweisen. Wie dargelegt weisen die ersten beiden Komponenten eine Nähe zu der charismatischen Wirkung der Führungskraft auf. Das insbesondere von Max Weber sehr einflussreich beschriebene Phänomen des Charismas verweist auf eine besondere, als außeralltäglich empfundene Ausstrahlung, die eine derartige Suggestions- oder Faszinationskraft ausübt, dass sie die Aufmerksamkeit des Gegenübers in Beschlag nimmt. Charismatische Führungskräfte haben eine Anziehungskraft, die nicht nur fesselnd wirkt, sondern ihren Äußerungen einen besonderen „Wahrheitsgehalt“ verleiht. Es fällt uns leicht, die Perspektive charismatischer Menschen zu übernehmen, was im Extremfall zu blindem Gehorsam oder gar völliger Selbstaufgabe führt.

Die Wirkungsrichtung des Charismas ist daher letztlich sehr einseitig (vgl. Julmi/Rappe 2018, S. 64, 110-111), und in dieser einseitigen Wirkungsrichtung zeigt sich der diametrale Unterschied des Charismas zu den Punkten der intellektuellen Anregung und der individualisierten Unterstützung. Bei diesen dreht sich Wirkungsrichtung gewissermaßen um, da die Führungskraft nicht als perspektivengebende Kraft fungiert, sondern ihre Mitarbeiter ihre eigene Perspektive finden lässt. Hier ist die Empathie der Führungskraft gefragt. Führungskräfte, die sich alleine auf ihre charismatische Wirkung verlassen, verfallen gerne der Versuchung, sie selbst wüssten am besten, was gut für andere ist. Ihr Verhalten wird dann zunehmend autokratisch, manipulativ und intolerant gegenüber alternativen Perspektiven (vgl. Yukl 1999, S. 300). Obwohl Empathie und Charisma häufig in einen Zusammenhang gebracht werden, haben sie wenig bis nichts miteinander zu tun. Im Gegenteil: Charismatische Menschen sind in vielen Fällen narzisstisch veranlagt oder sind sogar echte Psychopathen, deren Anziehungskraft gerade darauf beruht, dass sie ihre Perspektive für die einzig „wahre“ halten und diese Wahrheit in die Welt tragen wollen (vgl. Furtner 2017, S. 16-17).

Variable, exklusive und inklusive Führung

Selbstverständlich soll das nicht bedeuten, dass charismatische Persönlichkeiten per se toxisch wären. Die Forschung unterscheidet deutlich zwischen einer hellen und einer dunklen Seite des Charismas. Der entscheidende Punkt ist an dieser Stelle, dass sich die ersten beiden von den letzten beiden Komponenten darin unterscheiden, welches Gewicht die Perspektive der Führungskraft im Führungsprozess hat. Bei dem Einfluss durch Vorbildlichkeit und der inspirierenden Motivation steht die Perspektive der Führungskraft im Vordergrund, während die Mitarbeiter bei der intellektuellen Anregung und der individualisierten Unterstützung ihre eigene Perspektive einbringen bzw. finden sollen. Eine Führungskraft kann grundsätzlich alle Komponenten vereinen und damit in vollem Umfang transformational führen; diese Form der Führung wird im System der atmosphärischen Führung als „variabel“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich jedoch um eine sehr anspruchsvolle Form der Führung, die nicht für jeden geeignet ist. Es überrascht daher nicht, dass an der transformationalen Führung bemängelt wird, nicht jede Führungskraft sei in der Lage sei, transformational zu führen (vgl. Scherm/Süß 2016, S. 206).

Abbildung 1: Möglichkeiten transformationaler Führung

Es gibt Führungskräfte, denen es leichtfällt, als Vorbild zu agieren und anderen eine Vision aufzuzeigen, an denen sich die Mitarbeiter ausrichten können, während es ihnen gleichzeitig schwerfällt, die Wünsche der Geführten individuell zu berücksichtigen und ihnen als Coach zur Seite zu stehen. Diese, von uns als „exklusiv“ bezeichnete Form der Führung ist keinesfalls als minderwertig zu betrachten und kann sehr effektiv sein. Dies gilt ebenso für den umgekehrten, von uns als „inklusiv“ bezeichneten Fall, wenn eine Führungskraft gut darin ist, die jeweiligen Perspektiven der Mitarbeiter zu einem stimmigen Gesamtbild zu orchestrieren, es ihr aber schwerfällt, eine Vision als übergeordnete Perspektive vorzugeben. Die atmosphärische Führung knüpft daher an die transformationale Führung an, geht aber über diese hinaus und differenziert drei verschiedene Führungsstile, die alle transformational sind, aber die Persönlichkeit der Führungskraft ebenso berücksichtigt wie die Anforderungen der Mitarbeiter und das konkrete Arbeitsumfeld.

Literatur

Bass, Bernard M.: Leadership and performance beyond expectations, New York 1985

Furtner, Marco: Dark Leadership. Narzisstische, machiavellistische und psychopathische Führung, Wiesbaden 2017

Jackenkroll, Benedict: Deckt das Full Range of Leadership-Modell tatsächlich das gesamte Spektrum an Führungsverhalten ab? In: wissensblitz (168/2016)

Julmi, Christian/Rappe, Guido: Atmosphärische Führung. Stimmungen wahrnehmen und gezielt beeinflussen, München 2018

Scherm, Ewald/Süß, Stefan: Personalmanagement, 3. Aufl., München 2016

van Knippenberg, Daan/Sitkin, Sim B.: A critical assessment of charismatic—transformational leadership research. Back to the drawing board? In: The Academy of Management Annals 7 (1/2013), S. 1-60

Weibler, Jürgen: Personalführung, 3. Aufl., München 2016

Yukl, Gary: An evaluation of conceptual weaknesses in transformational and charismatic leadership theories, in: The Leadership Quarterly 10 (2/1999), S. 285-305