Wissenschaftliche Fundierung

Wissenschaftliche Fundierung

Das Konzept der atmosphärischen Führung basiert auf den neuesten Erkenntnissen der modernen Atmosphärenforschung. Diese geht im Wesentlichen auf die Arbeiten des Kieler Philosophen Hermann Schmitz zurück, der in seiner zwischen 1964 und 1980 entwickelten Neuen Phänomenologie den Grundstock unseres heutigen Atmosphärenverständnisses gelegt hat.

Internationalisierung und Praxistransfer

Vor allem in den letzten Jahren hat die Atmosphärenforschung eine erhebliche Aufmerksamkeit erfahren und wird beispielsweise durch das internationale Forschernetzwerk Atmospheric Spaces, dem wir ebenfalls angehören, auch im anglo-amerikanischen Sprachraum breit rezipiert. Die Erkenntnisse der modernen Atmosphärenforschung werden bereits in vielen Bereichen angewendet, darunter die Architektur, die Psychologie, die Medizin oder die Pädagogik. Unsere Forschung richtet sich insbesondere darauf, wie Menschen zu gemeinsamen (oder unterschiedlichen) Atmosphären kommen und welche Rolle dabei die zwischenmenschliche Kommunikation spielt.

Die phänomenologische Denkrichtung

Hierzu haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche nationale und internationale Forschungsarbeiten veröffentlicht und so eine eigene phänomenologische Denkrichtung entwickelt, die wir Moderne Phänomenologie nennen. Diese knüpft zwar an der Neuen Phänomenologie an, geht aber letztlich wesentlich über diese hinaus. Aus dieser Denkrichtung ist das Konzept der atmosphärischen Führung entstanden.

Was ist eigentlich Phänomenologie?

Die Phänomenologie ist die Wissenschaft der Phänomene. Sie stellt eine aktuelle und sehr lebendige wissenschaftliche Methode dar, deren Erkenntnisgewinnung direkt an der konkreten Erfahrung des Menschen ansetzt. Sie geht davon aus, dass sich die vielfältigen Phänomene unserer Lebenswelt nicht nur durch Theorien erfassen lassen, sondern primär über die subjektiven Erfahrungen einzelner Menschen zugänglich sind und erforscht werden müssen, so dass sie hinsichtlich intersubjektiver Gemeinsamkeiten überprüft werden können.

Ein Beispiel für ein Phänomen ist der subjektiv gespürte Schmerz, der einen Menschen mit seiner Leiblichkeit konfrontiert. Mit medizinischen Apparaten lässt er sich oft gar nicht objektivieren. Aber der Mensch, der Schmerzen hat, wird dadurch kaum überzeugt, dass es sie nicht gibt oder er ein Simulant ist, wenn der Apparat nichts zeigt. Den naturwissenschaftlichen Objektivierungsverfahren sind also klare Grenzen gesetzt, und das gilt vor allem auch für Atmosphären als Phänomene, die mit Messgeräten nicht erfasst werden können, aber kulturwissenschaftlich objektiv vorhanden sind. Und da alle (oder zumindest die meisten) Menschen Schmerzen empfinden und Atmosphären wahrnehmen, lässt sich diese subjektive Evidenz der Erfahrung auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin überprüfen, so dass intersubjektiv festgestellt werden kann, worum es sich handelt. Die Phänomenologie beruht als Wissenschaft auf dieser Methode der Objektivierung durch Feststellung von dem, worin man nach unvoreingenommener Prüfung und im Ernst übereinstimmt.

Ihr Ziel ist es, von der subjektiven Erfahrung des Einzelnen ausgehend einen allgemeinen Orientierungsrahmen zu schaffen, der den Menschen bei der Bewältigung seines Daseins auf eine nicht reduktionistische Weise unterstützt. Als philosophische Methode sucht sie Orientierungshilfen zu erarbeiten, die einen Weg zur Verbesserung der eigenen Lebensqualität weisen.

Atmosphären aus wissenschaftlicher Sicht

Atmosphären sind unabweisbare Phänomene unserer Lebenswelt, denen wir uns nicht entziehen können. Doch die Frage, was Atmosphären naturwissenschaftlich sind, lässt sich nicht klar beantworten. Wenn sie als Phänomen nicht sogar geleugnet werden, fällt es oft schwer, sie überhaupt klar in den wissenschaftlichen Fokus zu nehmen. Das hängt u.a. damit zusammen, dass wir in unserer westlichen Tradition den Blick für das Atmosphärische verloren oder zumindest stark in den Hintergrund gedrängt haben.

In unserem allgemeinen historisch beeinflussten Selbstverständnis gibt es meist entweder das Rationale, das Denken oder Spüren in einer psychologischen „Innenwelt“ oder das Körperliche, Physikalische, Physiologische, Anatomische einer naturwissenschaftlich-medizinisch untersuchten „Außenwelt“. Gefühle werden teilweise in die psychologische Innenwelt gepackt, wo sie dann zur Privatsache werden. Teilweise werden sie aber auch auf Hormone oder neuronale Aktivitäten zurückgeführt, was sie dann zu einer öffentlichen Angelegenheit macht, an der jeder teilhaben kann. In diesem Schema haben aber Atmosphären keinen Platz!

Atmosphären sind weder in der Innenwelt, noch im Gehirn, sondern in unserem Lebensraum, in dem wir sie jederzeit wahrnehmen können. Dies zeigt sich auch daran, dass man eine Atmosphäre oft verlassen kann, indem man einen anderen Ort aufsucht. Es gibt aber keine Messgeräte für sie und keinen Maßstab. Trotzdem sind sie nicht nur wirklich, sondern wirken auch. Als etwas Nicht-Messbares beeinflussen sie nicht nur unser Befinden, sondern auch unsere Arbeitskraft, deren Leistung messbar ist. Wer ihre Wirkung verstanden hat, kann zumindest bestimmte Atmosphären gezielt beeinflussen.
Verschiedene Menschen nehmen Atmosphären unterschiedlich wahr und die Sensibilität gegenüber dem Atmosphärischen variiert erheblich. Aber Sensibilität ist kultivierbar. Die philosophische Atmosphärenforschung der Modernen Phänomenologie weist hier einen Weg, sich selbst zu sensibilisieren und dadurch seine Fähigkeiten zu entwickeln, was gleichzeitig zu einer Verbesserung der gemeinsamen Situation führt, in der man mit den anderen zusammen Atmosphären ausgesetzt ist und sie bildet.