Die Diskussion um People Analytics sieht die Personalabteilungen auf der Schwelle zu einem datengetriebenen und evidenzbasierten Personalmanagement. Als Schlüsselqualifikation der Personaler von morgen gilt hierbei ihre digitale Kompetenz. Allerdings lassen sich zahlreiche Probleme des Personalmanagements auch in Zukunft nicht mit künstlicher, sondern nur mit sozialer Intelligenz lösen. Entsprechend sollte nicht digitale, sondern soziale Kompetenz im Zentrum der Ausbildung von Personalern stehen.
Das Personal wird digital!
Derzeit läuft eine massive Digitalisierungswelle durch die Personalabteilungen (nicht nur) deutscher Unternehmen (vgl. zum Folgenden Julmi 2022). Es scheint, als ließen sich nahezu alle Aufgaben des Personalmanagements durch künstliche Intelligenz verbessern. In der Personalbeschaffung ermöglicht sogenanntes ‚Robo-Recruiting’ die datengestützte Rekrutierung geeigneter Bewerber; in der Personaleinsatzplanung kann mithilfe künstlicher Intelligenz der Personalbedarf in komplexen Systemen vorhergesagt und die Planung damit optimiert werden; Reisekostenabrechnungen lassen sich automatisiert verarbeiten und können Verbesserungspotenziale bei der Reiseplanung ermitteln; in der Personalentwicklung können selbstlernende Systeme und digitale Lernplattformen Lerninhalte und Trainingsmaßnahmen effektiv an den individuellen Lernenden anpassen (vgl. Dahm/Dregger 2018; Laumer/Weitzel/Luzar 2019; Strohmeier/Faust/Oberstädt 2019).
Es verwundert daher nicht, dass unter dem Stichwort People Analytics eine Managementrevolution postuliert wird, die das Personalmanagement automatisiert und Entscheidungen nicht zuletzt dadurch optimiert, dass der fehleranfällige und begrenzt rational entscheidende Mensch durch datenbasierte Evidenz ersetzt wird (vgl. Kels/Vormbusch 2020, S. 71). Da ist es nur konsequent, wenn sich die Ausbildung von Personalern zunehmend auf die Nutzung von und den Umgang mit digitalen Lösungen fokussiert.
Personaler brauchen neben künstlicher auch soziale Intelligenz!
Problematisch wird es allerdings, wenn dieser Fokus das ausblendet, was sich einer Digitalisierung entzieht und gerade deshalb in Zukunft die Schlüsselkompetenz von Personalern sein wird: ihre soziale Intelligenz! So komplex (und zunehmend undurchsichtig) die künstliche Intelligenz agieren mag, sie basiert per Definition auf explizitem Regelwissen. Notwendige Regelbrüche sind ihr ebenso fremd wie das taktvolle Agieren in zwischenmenschlichen Beziehungen, sozialen Situationen und wechselhaften Stimmungslagen. Gute Personaler zeichnet aber genau dieses Vermögen aus. Sie kreieren ein attraktives Arbeitgeberimage, das Mitarbeitende und potenzielle Bewerbende auf einer emotionalen Ebene anspricht. Sie deuten schwache Signale und erkennen Potenziale, die noch keine analysierbaren Spuren hinterlassen haben. Sie lösen bei der Personaleinsatzplanung nicht nur Optimierungsprobleme, sondern hinterfragen auch das Problem. Sie führen Gehaltsverhandlungen so, dass sich alle als Gewinnende fühlen und niemand das Gesicht verliert. Sie gehen offen in Bewerbungsgespräche und gewinnen ihre Informationen auch aus dem, was Bewerbende nicht sagen. Sie brauchen als Mentorinnen und Coaches ein empathisches Verständnis für die besondere Situation ihrer Mentees und Coachees. Als Vertrauenspersonen gehen sie diskret und taktvoll mit Konflikten und Beschwerden um.
Es gibt keine feste Regeln, ob man in einer Situation schweigen oder reden, sich zurückhalten oder nach vorne preschen, die Regeln befolgen, beugen oder brechen sollte. Immer kommt es auf ein Gespür für die Situation sowie die in ihnen handelnden Akteure an (vgl. Albrecht 2020b, S. 193). Nicht zuletzt durch ihre Verflechtungen mit verschiedenen Anspruchsgruppen innerhalb und außerhalb der Organisation sind Personaler in besonderem Maße auf ihre soziale Intelligenz – oder, wie Clements Albrecht (2020b) es nennt, ihre Sozioprudenz – angewiesen. Der Personaler von morgen ist mehr als nur Nutz(nieß)er künstlicher Intelligenz. Er ergänzt diese vielmehr durch seine soziale Intelligenz komplementär, und diese zu vermitteln sollte im Zentrum der Ausbildung von Personalern stehen.
Die Ausbildung von Personalern muss soziale Intelligenz fördern!
Hieran knüpft direkt die Frage an, wie sich soziale Intelligenz vermitteln lässt. Sozial intelligentes bzw. sozioprudentes Handeln beruht nicht auf einem Regelwissen, das man lernen und einfach anwenden kann. Als Kunst und Handwerk zugleich entsteht es durch das Zusammwirken von Talent, Geschick und Erfahrung (vgl. Albrecht 2020b, S. 186). Soziale Intelligenz beruht auf implizitem Wissen und wird zu einem großen Teil in der Ausübung des Berufs selbst durch den Umgang mit Menschen, Situationen und Atmosphären geprägt. Hierzu gehören die mehr oder weniger intuitive Identifikation von Faktoren, die diese verändern können, ihre Bewertung als positiv oder negativ sowie die mit ihnen verbundenen Neben-, Folge- und Rückwirkungen (vgl. Albrecht 2020a, S. 202). Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass soziale Intelligenz ausschließlich in der Ausübung des Berufs erworben werden kann und der Zufälligkeit realer Gegebenheiten ausgesetzt ist. Soziale Intelligenz ist grundsätzlich schulbar, sowohl im Zuge der Berufsvorbereitung als auch berufsbegleitend.
Die Schulung sozialer Intelligenz geschieht zum einen dadurch, dass Teilnehmende für die Möglichkeiten und Schwierigkeiten sozial intelligenten Handelns sensibilisiert werden. Dieses setzt beispielsweise voraus, sich selbst beobachten und in seiner Wirkung auf andere einschätzen zu können (vgl. Albrecht 2020b, S. 38). Zum anderen kann soziale Intelligenz vermittelt werden, indem das implizite Wissen erfahrener Personaler systematisiert und in entsprechenden Lehrformaten so vermittelt wird, dass dieses situativ erfahren, erprobt und kritisch reflektiert werden kann.
Fazit
Es ist nichts dagegen einzuwenden, die vielfältigen Möglichkeiten und Chancen, die die Digitalisierung für das Personal bietet, auch zu nutzen. Die Frage ist vielmehr, was die Personaler der Zukunft lernen sollen und können müssen. Natürlich liegt es nahe, sie mit den digitalen Kompetenzen auszustatten, die notwendig sind, um künstliche Intelligenz im Personal nutzenbringend und sinnvoll einzusetzen. Es liegt aber mindestens genau so nahe (eigentlich aber viel näher), die Schlüsselkompetenz der Personaler von morgen in Bereichen zu sehen, die den Einsatz künstlicher Intelligenz komplementär ergänzen. Wer heute nicht beginnt, Personaler in sozialer Intelligenz zu schulen, riskiert, dass der Mensch – um den es im Personal nicht nur dem Namen nach geht – zwischen all den Zahlen und Daten unter die Räder kommt.
Literatur
Albrecht, Clemens: Implizites Wissen über Atmosphären, in: Wolf, Barbara/Julmi, Christian (Hrsg.): Die Macht der Atmosphären, Freiburg 2020a, S. 200-219
Albrecht, Clemens: Sozioprudenz. Sozial klug handeln, Frankfurt, New York 2020b
Dahm, Markus H./Dregger, Alexander: Mehr Freiraum für die Führung. Chancen und Herausforderungen des Einsatzes von künstlicher Intelligenz im Personalmanagement, in: Personalführung 51 (4/2018), S. 30-35
Julmi, Christian: Pro und Contra Digitale Kompetenzen. Soziale Intelligenz bleibt die wichtigste Schlüsselkompetenz, in: Personalmagazin 24 (6/2022), S. 73
Kels, Peter/Vormbusch, Uwe: People Analytics im Personalmanagement: Auf dem Weg zur automatisierten Entscheidungskultur? In: Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management 27 (1/2020), S. 69-88
Laumer, Sven/Weitzel, Tim/Luzar, Katrin: Robo-Recruiting. Status quo und Herausforderungen für die KI in der Personalgewinnung, in: PERSONALquarterly 70 (3/2019), S. 10-15
Strohmeier, Stefan/Faust, Thomas/Oberstädt, Christian: Alles eine Frage der Datenmenge, in: Personalwirtschaft 46 (9/2019), S. 58-60